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Roadtrip mitten ins Herz!

Manchmal, wenn ich den Himmel blicke, dann denke ich an meinen Opa. Er war ein lebenslustiger Mann und in vielen Dingen ein großes Vorbild für mich. Besonders die lebenslange Liebe, die er mit meiner Oma teilte, imponierte mir. Genau so was will ich auch mal haben. Meine Oma ist einfach die Beste – sie hat mir öfters im Leben genau die richtigen Ratschläge mit auf den Weg gegeben. Ich vermisse sie. Als mein Opa eines Tages doch unerwartet starb, konnte ich nicht da sein. Wegen des Studiums lebte ich in Wien, meine Familie hingegen in Luxemburg. Eine gewisse Traurigkeit mich nicht verabschieden haben zu können, blieb für immer in mir stecken. Ich machte mir Selbstvorwürfe und schwor mir, dass ich auf jeden Fall da sein werde, wenn meine Oma ihren letzten Lebenshauch macht. Jetzt einige Jahre nach dem Tod von meinem Opa sitze ich im Wiener Prater, genieße die ersten Sonnenstrahlen und trinke ein Bier. Ich erhebe es und proste gen Himmel: „Auf das Leben, Opa!“ Oma geht es gesundheitlich seit dem Tod nicht so gut und ich habe oft Angst, dass mich schlechte Nachrichten erreichen. Doch ich dränge diese Gedanken immer wieder weg. Es wirkt alles so friedlich, die Kinder spielen am Spielplatz, verliebte Pärchen schmusen auf Picknickdecken und Hobbysportler keuchen um die Wette. Doch genau in dem Moment: „Breaking News“. Der Paukenschlag: Die Regierung verhängt den ersten Lockdown, ein gefährliches Virus aus China macht die Runde. Mir ist mulmig. Schlechte Erinnerungen kommen hoch. Auf dem Weg zurück in die Wohnung, ruft mich meine Mutter an.

 

„Wir haben Oma wieder aus dem Altersheim nachhause geholt, wir wollen, dass sie ihre letzten Atemzüge im Kreis ihrer Familie erlebt...“

 

„Mama ich komm sofort nachhause, ich miete mir ein Auto und mach mich gleich auf den Weg. Ich konnte mich schon damals nicht von Opa verabschieden.“

 

Ein paar Stunden später, brause ich auf der Autobahn dem Sonnenuntergang entgegen. In der Eile hatte ich vergessen, Proviant einzupacken, und so mache ich kurz auf einer Raststätte halt. Gesagt, getan. Als ich mit genug Energiedrinks und Sandwiches für meine 8-10-stündige Fahrt nach Luxemburg eingedeckt vom Parkplatz abbiegen will, springt mir ein Mädel vors Auto. Ich schrei sie durchs runtergekurbelte Fenster wütend an:

 

„Fuck, was soll das?! Willst du, dass ich dich überfahre?“

 

Sichtlich unbeeindruckt von meinem Wutausbruch erwidert sie keck:

 

„Hast du eh nicht, Süßer. Also entspann dich!“

 

Bevor ich was antworten kann, springt sie bei der Beifahrertür rein.

 

„Nimmst mich ein Stück mit?“

 

Ohne auf eine Antwort von mir zu warten schmeißt sie ihren großen Reiserucksack auf die Rückbank. Dann lacht sie. Obwohl ich ihre Aktion echt verrückt finde, muss ich grinsen. Ihr kecker Blick vereinnahmt mich sofort. Sie hat so krass strahlend blaue Augen. Wow! Ungläubig schüttle ich meinen Kopf und fahr wortlos los.

 

"Ich bin Clara und du? Übrigens, nach Wien geht’s die Auffahrt da rauf und dann wieder zurück.“ 

 

Clara deutet auf ein Autobahnschild.

 

„Ähh ich fahre gar nicht nach Wien, ich fahre nach Luxemburg.“

 

„LUXEMBURG?! Scheiße! Ich dachte du fährst nach Wien! Du hast ein Wiener Kennzeichen!“

 

Clara vergeht für einen kurzen Moment das Grinsen.

 

„Ach herrje, typisch Clara! Das mir das wieder passieren muss. Eigentlich wollte ich gerade so einen Roadtrip mit Rucksack durch Europa beginnen und dann höre ich vor ein paar Stunden die Nachrichten. Ich war ja noch nicht weit und wollte dann halt zurück“

 

Sie überlegt kurz und gewinnt ihre freche Art wieder:

 

„Nimmst du mich halt einfach mit nach Luxemburg. War noch nie da!“

 

„Na du bist lustig! Jetzt, am Beginn einer Pandemie willst du einfach mit einem fremden Mann nach Luxemburg fahren?“

 

Sie zuckt mit den Achseln.

 

Ja! Warum nicht? Wollte eh verreisen und gerade denk ich mir, wenn wir jetzt all in einer Zombie Apokalypse draufgehen, dann kann ich ja vorher noch was erleben oder nicht?“

 

Ich lache.

 

„Na das kann ja noch lustig werden mit dir, aber gut von mir aus. Fährst halt mit!“

 

„Warum fährst du denn eigentlich dahin?“

 

Kurze Pause.

 

„Ist ein trauriger Anlass, meine Oma liegt im Sterben…“

 

„Das tut mir leid.“

 

„Schon ok, du konntest das ja nicht wissen. Ich bin übrigens Max. Freut mich, Clara!“

 

Ich reiche ihr meine Hand, dann herrscht eine Weile Schweigen, ich konzentriere mich aufs Fahren und wir hören Radio. Irgendwann plappert Clara wieder drauf los. Meine anfängliche Perplexität ist verflogen und ich finde Gefallen daran, nicht die ganze Fahrt durch die Nacht alleine sein zu müssen. Clara befindet sich ein wenig in einer Sinnkrise. Daher der Plan mit dem Reiseabenteuer. Meine Augen nach vorne auf die Straße gerichtet, kann ich sie immer nur kurz ansehen. Sie gefällt mir, etwas frech und doch eine zuckersüße Ausstrahlung. Ich hatte schon eine Zeit keine Frau mehr kennengelernt, die mich so schnell in ihren Bann gezogen hat. Gut, sie hat es ja auch sehr drauf angelegt, aber trotzdem! Notgedrungen verbringen wir die ganze Nacht zusammen im Auto, während der Asphalt unter uns davonrauscht. Ich genieße ihre Gesellschaft. Als wir endlich Luxemburg erreichen, geht die Sonne auf. Angekommen, springt Clara aus dem Auto. Total unerwartet umarmt sie mich ganz fest, drückt mir ein Bussi auf die Wange und eilt davon.

 

 „Maaaaxx: DANKE und alles Gute! Wir sehen uns bestimmt wieder!“ 

 

Wie sie gekommen war, so ist sie auch wieder verschwunden. Und schon ist mein Kummer, der in ihrer Gegenwart wie weggeblasen schien, zurück. Ich habe bloß noch meine Oma im Kopf. An ihrem Totenbett stehend, kommen mir die Tränen. Friedlich liegt sie da. Alt ist sie geworden und doch war ihr dieser unglaublich freundliche und sanfte Blick geblieben. Ich nehme ihre Hand. Sie will mir etwas sagen. Ich bücke mich mit meinem Ohr, ganz nah an ihren Mund. Mit trockener Stimme flüstert sie: „Bald sehe ich Opa wieder, nach all den Jahren. Die Liebe ist das Schönste, was man im Leben erleben kann, wahre Liebe meine ich damit.“

 

Oma atmet immer schwerer.

 

„Also wenn man das Gefühl hat, noch nichts gewonnen zu haben, und doch schon etwas verlieren kann…“ Es folgt eine weitere Pause „… dann ist es wert, diesen Menschen kennenzulernen – Vergiss das nie, Max. Niemals.“ 

 

Mit der verbleibenden Kraft drückt sie meine Hand und ich gebe ihr einen allerletzten Kuss auf ihre Wange. Schließlich verlasse ich mit Tränen in den Augen das Zimmer. Später muss ich nochmal in mein Auto – hatte in der Aufregung dort mein Handy liegen lassen. Ich öffne die Fahrertür und da liegt ein Zettel, ein Zettel mit Claras Nummer und einer Nachricht: „Verlier mich nicht! :p“. Ich grinse und stecke ihn ein.

 

Ein paar Monate später liege ich wieder auf der gleichen Wiese im Wiener Prater. Neben mir liegt Clara, sie streichelt mir durchs Gesicht. Ich blicke wieder in den Himmel und grinse.

 

 „Oma wie Recht du wieder hattest!“

 

„Hast du was gesagt, Max?“

 

„Nichts nichts, alles gut!“

 

Dann schau ich Clara tief in ihre wunderschönen blauen Augen und wir küssen uns.

 

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