Dorf in der Pampa im Großherzogtum, 3. März 2004
Ich saß in der Umkleidekabine vom örtlichen Fußballverein und suchte nach meinen Fußballschuhen in meiner Sporttasche. Wir hatten ein Heimspiel! Ich freute mich tatsächlich auf das Spiel, da wir bei dem Gegner, der uns heute besuchte zur Abwechslung nicht mal wieder Angst haben mussten, kläglich zu versagen und zweistellig zu verlieren. Das war leider öfters bei unserer Mannschaft der Fall. Kein Wunder, wenn die halbe Truppe vor dem Spieltag auf irgendeinem kleinen Dorffest durchmachte und am nächsten Tag irgendwann eine halbe Stunde vor Spielbeginn immer noch betrunken auftauchte.
Der Duft beim Aufwärmen, der unsere Hälfte des Platzes bestimmte, konnte man Getrost mit dem Vergleichen was einem in den 90ern entgegenschoss, wenn man eine schöne kleine ranzige, versoffene, verrauchte Dorfkneipe betrat. Aber zu den Geschichten kommen wir ein anderes Mal. Also zurück in die Umkleidekabine, während ich noch nach meinen Fußballschuhen in meiner Sporttasche kramte, kam der Schiedsrichter in die Kabine. Er wollte zu unserem Trainer, um ihn offiziell zu begrüßen und den Spielerbogen abzuholen. Der Schiedsrichter betrat leicht zögernd die Kabine. Unser Trainer war ein um die 1,90 großer stattlicher Mann, zu dem Zeitpunkt stolze 40 Jahre alt, verheiratet und konnte zwei putzmuntere Kinder im Alter von 4 und 6 Jahren sein Eigen nennen. Er war bis auf den kleinen Bierbauch, der sich über die Jahre geformt hatte, eigentlich noch recht gut in Schuss. Konnte man bei uns jüngeren in der Mannschaft leider nicht mehr von jedem behaupten.
Sein Kopf war kahlrasiert und in seinem Gesicht spross ein dichter 3-Tage-Bart. Unser Trainer war meistens sehr gut drauf und immer zu einem Späßchen aufgelegt. Er saß auf einem Stuhl an einem Tisch in der Mitte der Umkleidekabine, lachte freundlich und sagte: „Kommen Sie doch ruhig herein, bin fast fertig mit dem Spielerbogen!“ Der Grund, warum der Schiedsrichter zögerte, war wohl der selbe Grund, warum so gut wie jeder Schiedsrichter erst mal schlucken musste, wenn er das erste Mal unsere Kabine betrat. Unser Trainer hatte nämlich die wundervolle Angewohnheit jedes Mal vor einem Spiel komplett splitternackt, so wie Gott ihn schuf, in der Umkleidekabine zu sitzen und genüsslich in aller Ruhe den Spielerbogen auszufüllen. Er grinste und zwinkerte: „Hier so fertig! Sollte alles stimmen so!“ , stand auf, drehte sich in Richtung des Schiedsrichters, der nicht so wirklich wusste wie er reagieren sollte und reckte ihm, unter anderem, den Spielerbogen entgegen.
Nicht weit unter dem Spielerbogen brachte sich die volle Pracht seiner Manneskraft in Stellung. Ja, das war eine Zeit lang der Trainer unserer zweiten Mannschaft, in der ich gelegentlich zur Belustigung spielte. Er war echt ein netter Kumpeltyp und man konnte viel mit ihm lachen. Wenn unser Trainer mal nicht nackt in unserer Umkleidekabine stand und mit allen möglichen Dingen umherwedelte, ging er seinem Beruf nach, den er genauso mit voller Leidenschaft ausübte, wie seine Trainertätigkeit. Er war einer dieser vielen Hüter des Gesetzes, die für Recht und Anstand, in unserem schönen kleinen Land sorgen sollten.
Ja, er war ein sehr pflichtbewusster Polizist, das konnte man schon so sagen. Er sah sich eigentlich so gut wie immer im Dienst. Selbst auf den kleinen Dorffesten bei uns in der Gegend, versuchte er besoffene Jugendliche weiterhin mit Bier abzufüllen damit die ihm schön verrieten, wer denn alles so heimlich kifft und wer mit dem Stoff dealt. Das waren schon etwas eigenartige Verhörmethoden, die er da anwandte, besonders da irgendwann nicht mehr klar war, ob nur noch der Alkohol aus ihm sprach oder sein polizeiliches Gewissen (selbstverständlich trank er fleißig mit).
Meistens lag er dann nach einiger Zeit mit seinem „Verhöropfer“ Arm in Arm. Dann wurde geschunkelt und irgendwelche alten Schlager gegrölt. Er war schon besonderes unser Trainer! Oh ja! Ich muss gestehen, vielleicht mag er auf andere etwas unkonventionell gewirkt haben, aber ich mochte ihn. Wenn er dann auch mal tatsächlich im Dienst war und zur Sperrstunde in unser Dorflokal geschickt wurde, dann saß er dort auch mal ganz gerne noch mit geladener Waffe am Tresen und trank gemütlich ein paar Bierchen. Seiner Meinung nach konnte der Wirt dann länger auflassen (schien sich bei uns über die Jahre zu einer Tradition entwickelt zu haben), war ja eh jetzt jemand da der aufpasste, dass alles seine Ordnung hatte. Das Gesetz hatte seine rechte Hand und diese rechte Hand umklammerte das Bierglas.
Der Wirt gab dann auch ganz gerne mal zu später Stunde noch ein paar Schnäpse aus und unser Trainer half betrunkenen Leuten, die selbst aufgrund ihres Promillegrades nicht mehr gut gehen konnten, ihr Auto zu finden und aufzusperren. Den ganz schweren Fällen, denen selbst das Starten des Motors nicht mehr gelingen wollte, was ja nicht immer so einfach ist, wenn man alles doppelt sieht, auch für diese Leute spielte er Freund und Helfer. Irgendwie will dann der verflixte Schlüssel ja nie in das richtige Zündschloss. Jedenfalls war unser Trainer auch dort an Ort und Stelle, um den Motor zu starten und den ersten Gang einzulegen. Er gab den Leuten meist auch noch einen witzigen Spruch mit auf den Weg, das durfte einfach nicht fehlen.
Ich war mittlerweile auf dem Fußballplatz angekommen (sogar mit dem passenden Schuhwerk – 18mm Stollen) und lief mich mit meinen Mitspielern warm. Ich roch wieder einige Alkoholfahnen und merkte, dass ich mich auch noch recht mitgenommen von der letzten Nacht fühlte. Ich schaute zur Tribüne, wo sich unser Trainer postiert hatte, wenigstens bedeckte mittlerweile eine kurze Trainingshose seine Lenden. So stand er da, breitbeinig und seine Arme vor der Brust verschränkt. Prüfend blickte er runter aufs Feld und wirkte dabei, wie ein Sheriff, der jeden Moment seinen Colt ziehen könnte. Seine Pistole hatte er zum Glück jedoch abgelegt.
Ich stöhnte vor Anstrengung wegen meinem Kater, aber musste gleichzeitig innerlich lachen. Ich dachte an den vorherigen Abend. Ich war mit ein paar Freunden aus meiner Fußballmannschaft in der nächstgelegenen Kleinstadt unterwegs. Da wir aber wussten, dass am nächsten Morgen ein Spiel anstand, wollten wir natürlich nicht zu lange unterwegs sein. Kurz nach Mitternacht wollten wir uns eigentlich in Richtung Bus, um nach Hause zu fahren, machen. Okay, ehrlicherweise wollten wir noch auf einen kleinen Absacker auf eine Party bei uns in der Gegend.
Also schlenderten wir in Richtung der Busstation, um den Nachtbus zu erwischen. Dort mussten wir eine Weile warten und plötzlich blieb ein Polizeiauto direkt an der Haltestelle stehen. Der Fahrer kurbelte das Fenster runter. Er saß allein im Auto. „Na Jungs was steht ihr denn hier so verlassen rum? Wollt ihr etwas schon nach Hause? Kommt steigt ein!“ ,rief uns eine wohlbekannte Stimme entgegen. Es war unser Trainer.
Wir jubelten und ließen uns nicht zweimal bitten. Er trat aufs Gas und los ging die Reise. Wir waren begeistert und niemand von uns hatte bis jetzt in einem Polizeiauto gesessen. „Ich hab jetzt bald Feierabend, also so in 30 Minuten aber wird schon nix mehr passieren und im Notfall muss ich euch halt wieder aus dem Auto hauen! Wo wollt ihr denn hin? Was geht ab? Ihr jungen Leute habt doch immer was am Start. Mir könnt ihr nix vormachen!“ Wir erzählten ihm von der Party und er meinte gegen ein paar Feierabendbierchen wäre doch sicher nichts einzuwenden. Gesagt getan und so brausten wir los.
Er schaltete das Matterhorn an und gab Vollgas. Wir brausten so am Bahnhofsplatz Richtung Autobahn davon und unser Trainer schrie: „Das hier, ist mein Revier! Habt keine Sorge Jungs, ich bin hier der Sheriff! Ich habe das im Griff!“. Unser Trainer schaltete das Funkgerät auf stumm und die Musik laut. Wir fuhren zu unserer Stammtankstelle. Die Verkäuferin der Nachtschicht kannten uns schon recht gut und die konnte nun wirklich so schnell nichts mehr aus der Fassung bringen. Wir luden noch einen Kasten Bier in den Kofferraum des Polizeiautos.
Auf der Party angekommen waren wir natürlich die Sensation mit dem Polizeiauto. Schnell war das Spiel was am nächsten Tag anstand vergessen, das Bier schmeckte wie eigentlich immer einfach zu gut. Und was sonst noch so alles auf der Party aufregendes passierte, verrate ich dann vielleicht später einmal. Aber Fazit nach der langen Nacht war, dass unser Trainer schlussendlich zu betrunken war, um selbst nach Hause zu fahren. Also was machen? Einer von uns schnappte sich die Autoschlüssel. Wir stiegen in das Polizeiauto und fuhren nach Hause.
Das Auto mitsamt Trainer lieferten wir bei ihm zu Hause ab, schliefen noch ein paar Stunden, bevor es dann zum Fußballplatz ging. Das Spiel verloren wir dann gegen die schlechteste Mannschaft aus dem Land mit 1:3, aber das war uns dann irgendwie egal nach dieser Nacht. Und hey, wir hatten trotz der Umstände sogar noch ein Tor geschossen. Na gut, es war ein Eigentor vom Gegner. Aber das muss ja keiner wissen.
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