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kapitel 4: das jahr in dem ich auf meine midlife-crisis zuwarten begann. ich war 28!

Weltmetropole an der Donau, 4.November 2014

 

Der Sommer war vorbei und so saß ich nun da an meinem Schreibtisch. Der Brief lag immer noch vor mir. Er hatte jede Unschuld verloren. Es war so, als würden die Buchstaben der einzelnen Worte allmählich den Glanz vergangener Momente einbüßen. Die Gefühle, die sich aufgestaut hatten, schienen auf der langen beschwerlichen Reise einen fürchterlichen Schiffbruch erlitten zu haben. Die Nacht mit „The smoking penis“ hatte ihre Spuren hinterlassen. Sie hatte sich buchstäblich in den tiefsten hinteren Regionen meines Gehirns eingebrannt, und zwar unauslöschlich. Der Cowboy im guten alten wilden Westen drückte dem Tier unerbittlich sein Brandzeichen auf. The smoking P. war der Cowboy und mein Gehirn offensichtlich die Kuh. Danke du rauchender Raudi!

 

Halt, Stopp! Das hier soll kein Sudern mit einer nicht so schmackhaften Extraportion Tränen werden. Es waren doch diese Momente, für die ich das Leben lieben gelernt hatte. Oder etwa nicht?! Hatte ich das oder bildetet ich mir das nur ein? Die Melancholie des unglücklichen, wunderbaren unnötig in die Länge gezogenen, Augenblicks schwappte in mir auf. Liebte ich sie wirklich, die rar gewordene Lebensfreude oder eher doch die Melancholie, vielleicht sogar beide? Begehrte ich gar das melancholische Dasein meiner offenbar gescheiterten Existenz? Frage um Frage: Wer bin ich - Und wenn ja wie melancholisch?

 

Die Sehnsucht nach etwas, das vielleicht niemals so vorgekommenen war, wuchs mit jeder Sekunde in mir. In meinem Kopf prallten surreale Realitäten aufeinander. Ich war verwirrt. Dieses zaghafte Gefühl des Aufbruchs fühlte sich so an, als sei es in schwere Eisenketten gelegt worden. An diesen Eisenketten hing ein Schloss. Dieses war zwar nicht verschlossen, aber die Ketten allein reichten, um mich zurückzuhalten. Diese Last ließ sich nicht einfach so wegschieben.

 

Es galt also wohl herauszufinden, wie meine Reise nun weitergehen sollte. Doch bevor der Zug sich wieder in Bewegung setzen konnte, war es vielleicht wichtig mal kurz innezuhalten. Die Zugmaschine brauchte eine Pause und so stand sie dampfend irgendwo im Niemandsland. Die erlebten Momente der letzten Wochen und Monate prasselten wie ein Monsun-artiger Spätsommerregen auf mich ein. Der dann doch eher trockene Herbst wehte die wunderschön verwelkten Blätter durch die Straßen der Stadt. Sie umwehte mein Gemüt: Eine leichte Brise, in der die wohlige Wärme des Sommers, hin und wieder durch die Sonnenstrahlen aufgewärmte Luft, ihre Nachwehen spüren ließ. Genau dieses Bild wollte ich für mich selbst festhalten. Ich wollte den Sommer nicht einfach davonziehen lassen, auch wenn er unwiderruflich vergangen, sogar verloren schien. Doch wie zum Teufel kann, man einen Sommer verlieren? Sommer kommen und gehen, niemand kann das ändern. Na gut, höchstens vielleicht den Sommer etwas verlängern. Klimaveränderung schlag ein – High five! Trump macht es möglich, vielleicht...

 

Ich war noch nicht bereit für den kalten Winter mit seinen kalten, dunklen Nächten. Falls er denn kommen sollte. Doch der Kampf gegen die Jahreszeiten erschien mir als sehr aussichtslos. Da war es wohl dann doch besser sich mit dem Schicksaal zu versöhnen und das Beste draus zu machen. Ich kaufte mir in meiner Verlorenheit etwas überhastet im Wintervorverkauf im Supermarkt meines Vertrauens einen wunderbaren bunten Adventskalender. Jeden Tag eine neue Überraschung verborgen in einem tollen gelben Ei, ummantelt mit zarter, zuckriger, brauner Schokolade. Das sind wohl gerade noch die Nachwirkungen unvergesslicher Werbedröhnungen meiner Kindheit, die gerade aus mir heraussprudeln. Aber hey, was solls!? Herrlich wunderbar zufrieden spazierte ich innerlich grinsend mit meiner vollgepackten Einkaufstüte nach Hause. Angekommen, Platz geschafft, Kühlschrank gefüllt, Kalender aufzubauen versucht, sich geärgert, es dann doch geschafft, hingestellt, Facebook-Foto mit Filter inszeniert, AUSGEBREMST! 

 

Es war doch erst Anfang November und ich freute mich auf den 1. Advent. Aber Stopp Halt! Ende Gelände! Zurück zum Anfang! Wo war der September hin, draußen war es immer noch viel zu warm für einen sich nicht ankündigenden Winter. Er hatte dieses Jahr wohl länger Sommerurlaub genommen? Sollte man ihm ruhig auch mal vergönnen dem feinen Herrn Winter. Doch tief, sehr tief in mir, kroch eine Eiseskälte in mir hoch und die ersten Schneeflocken machten sich auf meinem Herz breit. Ich steckte den Brief in eine leere Glasflasche und verschloss sie mit einem Korken, seufzte ein letztes Mal und stellte die Flasche in ein Regal neben eine Sanduhr. Die Zeit würde kommen aber jetzt noch nicht. Frohe Weihnachten, oder so!

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